Die Zeiten ändern sich. War Georgien in Zeiten der ehemaligen UdSSR noch Zuschauerhochburg Nummer 1 der Vielvölkerunion, spielt selbst Dinamo Tiflis, bis heute unumstrittenes sportliches Aushängeschild Georgiens, inzwischen nur noch vor einer Handvoll Fans und fristet, wenngleich nationaler Serienmeister ein Schattendasein. Früher lockte Dinamo regelmäßig 50.000 Zuschauer ins Nationalstadion, war umschwärmter Liebling der Georgier, heimlicher Bannerträger kultureller Identität und zudem höchst erfolgreich. 1981 sicherten sich die Georgier den Europapokal der Pokalsieger und nur vier Jahre später stellte man mit durchschnittlich 63.858 Fans einen neuen Zuschauerrekord auf – zu einer Zeit, als der Unmut der Republiken gegen die Moskauer Allmacht bereits unaufhaltsam seinem Siedepunkt entgegen steuerte.Auf Moskau sind die meisten Georgier nicht gut zu sprechen. Georgiens Geschichte ist eine schier nie endend wollende Aneinanderreihung von Fremdbestimmung, Ausbeutung und Unterdrückung, an der die Russen alles andere als unbeteiligt waren. 1783 geriet die Region unter russischen Einfluss und wurde nach gewaltsamer Niederschlagung des georgischen Widerstandes massiv russifiziert. 1918, nach der russischen Oktoberrevolution, erklärte Georgien seine staatliche Unabhängigkeit, die drei Jahre später durch den Einmarsch sowjetischer Truppen gewaltsam endete. Danach wurde die auch „südlicher Garten der Sowjetunion“ genannte Region in die Transkaukasische SSR eingegliedert 1936 die Georgische Sozialistische Sowjetrepublik gebildet, die schlussendlich zu den Vorreitern der Unabhängigkeitsbewegung zählte. Ein Jahr nach dem Austritt aus der UdSSR wurde im April 1991 die heutige Republik Georgien ausgerufen.Der turbulente Verlauf der Geschichte fand auch im Fußball seinen Niedergang. Aufgrund der dürftigen Quellenlage kann über die fußballerischen Anfänge der Kaukasusrepublik allerdings nur spekuliert werden. Tiflis (Georgisch: „Tbilisi“) jedenfalls war prädestiniert für die Entstehung einer Fußballbewegung, und die Schwarzmeerstädte Batumi und Poti – aus letzterer ist eine Klubgründung aus dem Jahre 1913 bekannt – dürften in den zwanziger Jahren ebenfalls zumindest lokalen Fußballspielbetrieb gehabt haben. Interessant wurde es allerdings erst, als Tiflis zum Nabel des georgischen Fußballs wurde. 1925 wurde dort das Polizeikombinat „Dinamo“ gegründet, das - wie alle Dinamo-Klubs in der Sowjetunion – ein „Ableger“ der Urzelle Dinamo Moskau war und Leistungsfußball nach Georgien brachte.In der 1936 eingerichteten höchsten sowjetischen Spielklasse war Tiflis lange Zeit der einzige georgischer Vertreter. Neben Dinamo, das von Beginn an erstklassig war, erreichten auch Lokomotiv und Spartak die höchste Spielklasse, in der sie sich aber jeweils nur kurz halten konnten. In den sechziger Jahren bekam Tiflis mit Kutaïssis Torpedo erstmals einen regionalen Konkurrenten, zu dem sich Ende der achtziger Jahre Guria Lantschchuti gesellte.Aushängeschild und sportliche Nummer 1 Georgiens war jedoch Dinamo Tiflis, zudem war es eines der beliebtesten Vereine der Sowjetunion. Jahrzehntelang waren vor allem die Derbys gegen den Namensvertreter aus Kiew Topereignisse im Sowjetfußball, die regelmäßig Zuschauerrekorde brachen. In puncto Erfolge standen die Georgier ihrem ukrainischen Nachbarklub kaum nach. 1964 beispielsweise brach Dinamo Tiflis als zweites Team die Moskauer Phalanx im Sowjetfußball und sicherte sich erstmals die Meisterschaft. Die erfolgreichste Zeit folgte Ende der siebziger/Anfang der achtziger Jahre, als die Elf um Mittelstürmer Kipiani auf europäischer Ebene aufzutrumpfen vermochte. Höhepunkt war der 13. Mai 1981, als Dinamo durch einen 2:1 Sieg über Carl Zeiss Jena Europapokalsieger der Pokalsieger wurde. Die große Zukunft, die der damaligen Mannschaft vorausgesagt wurde, endete jedoch schon wenige Wochen später, als David Kipiani einen komplizierten Beinbruch erlitt, der ihn im darauf folgenden Jahr zum vorzeitigen Ende seiner Karriere zwang. Am Ende des, für den Klub so tragischen Jahres 1982 gab es den nächsten Schock, als Regisseur Witali Darasselija bei einem Autounfall ums Leben kam. Zwei Verluste, die Dinamo nicht kompensieren konnte und die zum Abrutschen der Georgier ins Mittelmaß führen sollte. Der im Jahre 1990 vollzogene Austritt aus der UdSSR war mit dem Ausscheiden der georgischen Teams aus dem sowjetischen Verband bzw. Spielsystem verbunden. Da dies recht kurzfristig und zudem kurz vor Beginn der Saison 1990 geschah, musste der am 15. Februar 1990 ins Leben gerufene Georgische Fußballverband praktisch über Nacht eine Nationalliga aus dem Boden stampfen, in die neben den beiden Ex-Sowjetoberligisten Tiflis und Lantschuti achtzehn unterklassige Klubs aufgenommen werden. Sportlich wurde die Liga von den übergangsweise als Iberia auftretenden Tiflisser Dinamos dominiert, die sich die erste Landesmeisterschaft mit großem Vorsprung sicherten.Der Spielbetrieb ist seither von den vielfältigen sozialen, politischen, wirtschaftlichen und nicht zuletzt ethnischen Problemen der Region überschattet. Beispielsweise kam es im Dezember 1991 zu bürgerkriegsähnlichen Unruhen, als sich Anhänger des autoritären Staatspräsidenten Gamsachurdia und eine mit der Nationalgarde verbundene Opposition Gefechte lieferten. Im März 1992, als Gamsachurdia gestürzt wurde und ein Neugeschaffener Staatsrat unter Führung des ehemaligen sowjetischen Außenministers Schewardnadse die Führung übernahm, beruhigte sich die Lage etwas, wenngleich Anhänger Gamsachurdias bis heute regelmäßig mit Anschlägen auf sich aufmerksam machen.Die zahlreichen Konfliktherde hatten auch auf den Fußballspielbetrieb Auswirkungen. Der Erstligist Tschumi Suchumi konnte in der Saison 1992/93 nur ein einziges Heimspiel im eigenen Stadion austragen, und mit Kolcheti Khobi, Amirani Ochamchira sowie Mzuri Gali mussten sich in der selben Spielzeit drei Klubs aus Sicherheitsgründen sogar ganz vom Spielbetrieb zurückziehen.Korruption und Bestechung sind in den Ex-Sowjetrepubliken ja nichts Ungewöhnliches – die Vorgänge beim Rennen um die georgische Torjägerkrone der Saison 1994/95 machten dann aber doch Schlagzeilen. Folgendes war passiert: Vor dem letzten Spieltag lagen sowohl Georgi Daraselia als auch Mamuka Khandadze aussichtsreich im Rennen. Daraselia traf beim 10:5 Sieg seiner Mannschaft über Samgurali Zchaltubo neunmal, wie auch Konkurrent Khandadze, der beim 11:4 Sieg Torpedo Kutaïssis über Sapovenla Terdschola ebenfalls neunmal jubeln konnte. Die offenkundliche Schieberei hatte jedoch nicht lange Bestand, denn der Verband bestrafte alle vier beteiligten Teams mit einer Niederlage und entzog beiden Titelanwärtern auf die Torschützenkrone die neuen Tore. Dennoch sicherte sich mit Georgi Daraselia ein Beteiligter an der Schmierenkomödie die Torjägerkrone. Er hatte vor dem letzten Spieltag ein Tor mehr erzielt als sein Konkurrent – und das zählte…Wie viele andere ehemalige Sowjetrepubliken auch leidet Georgiens Spitzenfußball unter einem krassen sportlichen Ungleichgewicht sowie einer landesweit fehlenden Basis. Abonnementsmeister Dinamo Tiflis, der sich 1999 zum zehnten Mal in Folge den Titel sicherte, ist für die nationale Konkurrenz sowohl sportlich als auch wirtschaftlich praktisch uneinholbar, was dem Niveau der höchsten Spielklasse nicht gut tut. Rund 90% der Vereine kämpfen mit finanziellen Dauerproblemen und leben davon, nach Saisonschluss ihre besten Akteure entweder an Dinamo Tiflis, nach Russland oder aber in den Westen zu verkaufen.In der georgischen Heimat türmen sich derweil die Probleme. Dubiose Geschäftsleute haben mitunter haarsträubende Entwicklungen eingeleitet, Bestechung und Korruption sind an der Tagesordnung. Die Zuschauerzahlen sind in den Keller gesunken, und selbst die noch immer beliebten Dinamos aus Tiflis können von einstigen 50.000 bis 60.000 Fans pro Spiel nur noch träumen. Bei Ligaspielen verlaufen sich im Durchschnitt 4.000 Leuten zu den Spielen ins Boris-Paichadze-Stadion, das allenfalls bei Europacupspielen halbwegs gefüllt ist.Auf europäischer Ebene wartet Georgien – im Gegensatz zu Nachbar Ukraine – noch auf den Durchbruch. Weder die Nationalmannschaft noch die Klubmannschaften kamen bis lang bis auf sporadische Achtungserfolge hinaus. Neben den wirtschaftlichen Voraussetzungen fehlt es Georgiens Fußball vor allem an einer entsprechenden Basis, um sein zweifelsohne vorhandenes Potential – siehe die erfolgreichen Legionäre – auszuschöpfen. Zu Sowjetzeiten war Leistungsfußball mehr oder weniger ausschließlich Sache von Dinamo Tiflis, und die Etablierung eines landesweiten, funktionierenden und leistungsorientierten Vereinssystem braucht Zeit, Geduld und Geld, das nicht vorhanden ist.So richtig Hoffnung machen kann sich Georgiens Fußball derzeit eigentlich nicht, zumal nach der intellektuelle Elite, die das Land scharenweise verlassen hat, nun auch jeder halbwegs begabte Fußballer seinen Traum zu verwirklichen versucht: Go West!(chb/gub)
28.07.2015